10 Jahre Fukushima Teil 5: Lessons Learned
Unsere fünfteilige Reihe „10 Jahre Fukushima“ beleuchtet den Reaktorunfall in Japan aus verschiedenen Perspektiven. Diese Woche stellen wir die Erkenntnisse und Konsequenzen vor, die der Unfall national wie international für den Betrieb und die Aufsicht von Kernkraftwerken mit sich gebracht hat.
Lesen Sie auch "Teil 1: Unfallablauf - Wegmarken einer Katastrophe", "Teil 2: Radiologische Folgen", "Teil 3: Der Rückbau" sowie "Teil 4: Das Wasser" unserer Reihe "10 Jahre Fukushima".
Deutschland: „Stresstest“, Weiterleitungsnachricht und neues Regelwerk
Deutscher Stresstest. Bereits wenige Tage nach der Katastrophe in Fukushima beauftragte das Bundesumweltministerium die Reaktor-Sicherheitskommission (RSK) damit, alle deutschen Kernkraftwerke einer Sicherheitsüberprüfung – auch als „Stresstest“ bekannt geworden – zu unterziehen. Das Ziel dieser Überprüfung lag in der Bewertung der Robustheit der Anlagen gegenüber Einwirkungen oder Ereignissen, die über die ursprüngliche Auslegung hinausgehen. Robustheit meint dabei die Fähigkeit einer Anlage, auch unter derartigen auslegungsüberschreitenden Umständen in einem sicheren Zustand zu bleiben.
Die Betreiber aller deutschen Kernkraftwerke mussten in Form eines Berichts darlegen, welchen Einfluss die aufgeführten Szenarien auf die Sicherheit ihrer Anlagen hatten. Ziel war es zu belegen, ob und in welchem Maß die übergeordneten Schutzziele – Kontrolle der Reaktivität, Kühlung der Brennelemente und Begrenzung der Freisetzung radioaktiver Stoffe – eingehalten werden konnten. Die RSK bewertete die Berichte der Betreiber. Die notwendigen Prüfungen organisierte die GRS im Auftrag der RSK.
Weiterleitungsnachricht. Das Bundesumweltministerium beauftragte die GRS im Zuge der Stresstests damit, eine Weiterleitungsnachricht zum Reaktorunfall in Fukushima zu erstellen. Weiterleitungsnachrichten verfasst die GRS immer dann, wenn es in einem in- oder ausländischen Kernkraftwerk zu einem Ereignis mit sicherheitstechnischer Bedeutung kommt. Die GRS untersucht dabei, ob das Ereignis auf andere Anlagen übertragbar ist und leitet gegebenenfalls Empfehlungen ab.
Nationaler Aktionsplan. Alle europäischen Länder waren nach dem Reaktorunfall in Fukushima dazu angehalten, einen nationalen Aktionsplan zu erstellen. Das Bundesumweltministerium veröffentlichte seinen nationalen „Aktionsplan zur Umsetzung von Maßnahmen nach dem Reaktorunfall in Fukushima“ im Dezember 2012. Der Plan war zuvor mit den atomrechtlichen Behörden aller Bundesländer und den Betreibern der deutschen Kernkraftwerke abgestimmt worden. Im Aktionsplan wurden neben den Empfehlungen der Reaktorsicherheitskommission und der Weiterleitungsnachricht der GRS auch die Ergebnisse der europäischen Stresstests sowie die Empfehlungen der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) berücksichtigt.
Der Aktionsplan enthielt 23 übergeordnete Empfehlungen zur Verbesserung der Sicherheit kerntechnischer Anlagen. Die Übersetzung der Empfehlungen in konkrete Maßnahmen – wie etwa technische Nachrüstungen – erfolgte für jede einzelne Anlage. Im Zuge des nationalen Aktionsplans wurden unter anderem die präventiven Notfalleinrichtungen optimiert, die technischen Voraussetzungen zur Verlängerung der Gleichstromversorgung im auslegungsüberschreitenden Bereich geschaffen und mobile Dieselaggregate zur Wiederherstellung der Drehstromversorgung im Notfall bereitgestellt. Jede Anlage erhielt darüber hinaus ein Handbuch mit mitigativen Notfallmaßnahmen als Erweiterung der vorhandenen Notfallhandbücher. Eine Überprüfung durch die European Nuclear Safety Regulators Group (ENSREG) wurde im Jahr 2015 mit positivem Ergebnis abgeschlossen.
Nationales kerntechnisches Regelwerk. Die Erkenntnisse aus der Analyse des Unfalls fanden auch Einzug in das nationale kerntechnische Regelwerk. Bereits 2012 wurden verschiedene Punkte in den Sicherheitsanforderungen für Kernkraftwerke ergänzt, darunter die Anforderung an eine diversitäre Wärmesenke, das Erhöhen der Kapazität der batteriegesicherten Gleichstromversorgung, erhöhte Anforderungen an die Störfallinstrumentierung sowie umfangreiche Anforderungen zur Beherrschung naturbedingter und zivilisatorischer Gefahren.
Europa: Stresstest, EURATOM-Richtline und WENRA-Sicherheitsanforderungen
Europäischer Stresstest. Der damalige Energie-Kommissar der Europäischen Union, Günther Öttinger, ordnete 2011 Stresstests für alle 143 Kernkraftwerke in Europa an. Die ENSREG legte den Umfang der Untersuchungen fest. Ähnlich wie im nationalen Stresstest der Reaktorsicherheitskommission mussten die Länder für verschiedene auslegungsüberschreitende Ereignisse die Sicherheit ihrer Kernkraftwerke darlegen. Die Ergebnisse veröffentlichten die Aufsichtsbehörden der Länder in Form eines Berichts. Die Berichte wurden einem Peer-Review von Fachleuten unterzogen und es wurden konkrete Empfehlungen ausgesprochen. Alle wesentlichen Empfehlungen und Anregungen veröffentlichte die ENSREG in ihrer Zusammenfassung „Compilation of Recommendations and Suggestions from the Review of the European Stress Test“.
Safety Reference Level der WENRA. Noch im selben Jahr überarbeitete auch die Western European Nuclear Regulators Association (WENRA) – ein unabhängiges Netzwerk der europäischen Aufsichtsbehörden – ihre Safety Reference Level für Kernkraftwerke auf der Grundlage der neuen Erkenntnisse aus Fukushima. Neu hinzu kam unter anderem die Anforderung, auslegungsüberschreitende Naturgefahren zu berücksichtigen. Grundlegend überarbeitet wurden zudem die Anforderungen an präventive und mitigative Maßnahmen und Einrichtungen zur Beherrschung von auslegungsüberschreitenden Störfällen.
International: IAEA-Aktionsplan, CNS-Sonderkonferenz, Wiener-Erklärung
Sonderkonferenz der Convention on Nuclear Safety. Anlässlich der Nuklearkatastrophe in Fukushima organisierte die IAEA im Sommer 2012 eine Sonderkonferenz im Rahmen des internationalen Übereinkommens über nukleare Sicherheit (Convention on Nuclear Safety (CNS)). Im Vorfeld mussten alle Teilnehmerländer einen nationalen Bericht einreichen, in dem sie die Sicherheit ihrer Kernkraftwerke beschreiben. Die Berichte wurden auf der Konferenz diskutiert. Neben anlagenspezifischen Empfehlungen – ähnlich derjenigen aus den Stresstests – wurden übergeordnete Empfehlungen hinsichtlich organisatorischer Faktoren, des anlagenexternen Notfallschutzes und der internationalen Kooperation erarbeitet. Die GRS unterstütze das Bundesumweltministerium bei der Erstellung des deutschen Berichts für die CNS-Sonderkonferenz zu Fukushima, der Auswertung der nationalen Berichte anderer Teilnehmerländer sowie während der Teilnahme an der Konferenz.
Wiener Erklärung zur Nuklearen Sicherheit. Fast vier Jahre nach den Ereignissen in Fukushima verabschiedeten die Vertragsstaaten des Übereinkommens zur nuklearen Sicherheit 2015 die Wiener Erklärung zur Nuklearen Sicherheit. Durch diese gemeinsame Erklärung bekennen sich die Vertragsstaaten zu folgenden drei Prinzipien der nuklearen Sicherheit:
- Neue Kernkraftwerke sind so zu planen und zu bauen, dass schwere Unfälle verhindert werden. Im Falle eines schweren Unfalls mit möglichen Freisetzungen von Radionukliden darf es nicht zu einer langfristigen Kontamination außerhalb der Anlage kommen. Für Schutzmaßnahmen des anlagenexternen Notfallschutzes muss genügend Zeit zur Verfügung stehen.
- Für bestehende Kernkraftwerke muss die Sicherheit regelmäßig geprüft und verbessert werden.
- Nationale Regelwerke sollen diese Ziele gewährleisten und müssen die Sicherheitsstandards der IAEO und der Überprüfungstagungen des Übereinkommens zur Nuklearen Sicherheit (CNS) berücksichtigen.
Japan: Neue Atomaufsicht und Sicherheitsüberprüfungen
Die japanische Regierung war zunächst damit beschäftigt, den Ablauf und die Ursachen des Unfalls aufzuarbeiten. Zwei staatliche Untersuchungskommissionen kamen zu dem Ergebnis, dass die Katastrophe in seiner Entstehung, seinem Verlauf und seiner Schwere auf eine Vielzahl von Mängeln technischer und organisatorischer Art zurückzuführen war. Zum einen war das Kernkraftwerk Fukushima nur unzureichend widerstandsfähig gegen auslegungsüberschreitende Ereignisse wie Tsunamis. Zum anderen mangelte es an entsprechenden Maßnahmen des anlageninternen Notfallschutzes, mit denen bereits eingetretene Unfälle beendet oder ihre Auswirkungen begrenzt werden.
Weitere Informationen
>> Stellungnahme der Reaktorsicherheitskommission (RSK)